9. Diskussion spezieller Wirkungen von Verhärtungen rund um den Kopf

9.1 Ideencocktail über das, was Verspannungen anrichten könnten

Es ist bekannt, dass sich der Gemütszustand in der Spannung der Muskulatur niederschlägt. Die umgekehrte Wirkungsrichtung dürfte aber ebenfalls eine Rolle spielen. Der Gemütszustand wird ebenso vom Spannungszustand der Muskulatur beeinflusst. Wird nun die Muskulatur im Laufe der Zeit steif, so steht zu vermuten, dass mit den verhärteten Muskeln sich auch bestimmte Stimmungen verhärten.

Dies könnte vielleicht einen Grund dafür liefern, warum bei Suchtkranken trotz Therapie eine lebenslange Rückfallgefahr besteht. Die psychischen Mechanismen hinter der Sucht werden zwar durchschaut. Der betroffenen Mensch muss aber Zeit seines Lebens gegen die mit den Muskeln gefrorene Grundstimmung angehen.

Eine andere Idee ist, Depressionen zumindest teilweise mit extremen Verspannungen zu erklären. Bei manisch Depressiven beobachtet man immer wieder Hochphasen, in denen sich die Leidenden völlig von der realen Welt abkoppeln. Ein Erklärungsversuch dafür wäre folgender: Der erstarrte Körper kann etlichen Gefühlen nicht mehr den angestammten muskulären, mimischen Ausdruck verleihen. Irgendwann aber fordert die Psyche ihr Recht und lebt bestimmte Stimmungen aus. Dies ist aber nur möglich, wenn kurzzeitig die Rückkopplung mit der eingefrorenen Muskulatur unterbrochen wird. Ohne Rückkopplung mit der Muskulatur fehlt der Psyche dann die Verankerung in der realen Welt.

In diesem Zusammenhang sind noch zwei weitere Ideen unterzubringen: Es gibt einen Artikel eines Trierer Psychologen, in dem dieser darlegt, dass es vom mimischen Ausdruck des Gesichts beim Lesen abhängt, wie witzig man einen Cartoon empfindet. Mit diesem Sachverhalt lässt sich ein Zusammenhang zwischen partiell unbeweglichen Gesichtsmuskeln und dem Charakter eines Menschen herstellen.

Eine Verbindung zwischen Verspannungen und Charakter ergibt sich möglicherweise auch über den REM-Schlaf. Der REM-Schlaf scheint zur Konsolidierung des prozeduralen Gedächtnisses wichtig zu sein, das heißt zum Erlernen von Gewohnheiten, konditionierten Reaktionen, motorischen, perzeptuellen oder kognitiven Fähigkeiten. Während des REM-Schlafes vollführen die Augen rasche Bewegungen. Wenn die Augen bei einem Menschen jedoch aufgrund der Verspannungen nur eingeschränkt bewegungsfähig sind, könnte es doch sein, dass dies Auswirkungen auf die Qualität oder Dauer des REM-Schlafs hat und damit auf die Fähigkeiten des betreffenden Menschen. Bei einem solchen Menschen überwiegen möglicherweise Fähigkeiten des deklarativen Gedächtnisses, also dem Lernen von Informationen, worauf eher die Qualität des Tiefschlafs zu wirken scheint. (Vgl. z.B. Rüdiger Vaas: Lernen im Schlaf, in: Spektrum der Wissenschaft 3/1995, S. 22-25.)

 

Eine besondere Rolle spielt für mich der Zusammenhang von Verspannungen mit der Funktionstüchtigkeit der Augen. Die Beschäftigung mit den Augen war ja wie eingangs dargestellt der Ausgangspunkt zur Entwicklung der Induktiven Kopfdehnung. Dem Zusammenhang zwischen Verspannungen und Fehlsichtigkeit ist deshalb ein eigener Abschnitt gewidmet.

8.2 Verspannungen und Fehlsichtigkeit

Aus meiner Massageerfahrung kann ich berichten, dass sich die Sehschärfe ändert, wenn die um die Augen liegende Muskulatur, oder die Augenbewegungsmuskulatur gedehnt wird. Auch Thérèse Bertherat berichtet über einen Fall, der einen Zusammenhang von Sehvermögen und Verspannungen aufzeigt (Thérèse Bertherat/Carol Bernstein: Der entspannte Körper, Frankfurt a. M. 1992, S. 74). Die Frage ist nun, ob und wie ein Zusammenhang zwischen Kopfmuskulatur und Fehlsichtigkeit besteht.

Üblicherweise wird der Augenlinse die Hauptaufgabe des Akkomodierens zugewiesen und bei Fehlsichtigkeit auf einen nicht adäquat ausgebildeten Augapfel verwiesen. Ursache dieser Fehlbildung können sowohl erbliche als auch umweltbedingte Faktoren sein. Sie werden beispielsweise in dem Artikel "Steuerung des Augenlängenwachstums durch Sehen" dargestellt (Schaeffel, F./Zrenner, E., in: Dt. Ärzteblatt 94 (1997), S. B-892 - B-899).
Andererseits weist Bates in seinem Buch (Bates, W. H.: Rechtes Sehen ohne Brille, 3. überarb. Aufl., Bietigheim 1991, z.B. S. 65ff, 115) auf die Bedeutung der Augenmuskulatur für den Akkomodationsvorgang hin. Im Buchhandel sind zudem eine Reihe weiterer Autoren erhältlich, die mit den Techniken von Bates positive Wirkung auf die Sehkraft versprechen. Gemäß dem Ansatz von Bates beeinflusst die Augenmuskulatur die Form des Augapfels. Durch die Formung des Augapfels leistet die Augenmuskulatur einen wichtigen Beitrag zur Akkomodationsfähigkeit des Auges.
Aus den Erfahrungen mit der Induktiven Kopfdehnung lässt sich folgende Erklärung hinzufügen: Ein Teil der Nackenmuskulatur ist im Laufe des Lebens auf den Kopf gerutscht und drückt nun auf die Stirn, bzw. die Augen. Gleichzeitig ist die Muskulatur unterhalb der Augen Richtung Ohren gezogen worden (Umkehrung des Dehnungszirkels in Abbildung 4). Kann es da nicht sein, dass der Raum für die Augen bei dieser kolossalen Verspannung der um die Augen liegenden Muskulatur nicht mehr ausreicht oder zu sehr verzerrt ist, als dass sich die Augen noch darin einrichten könnten? Hinzu kommt, dass ebenso wie die Stirnmuskeln auch die Augenmuskulatur langsam verhärtet. Nach Bates würde allein dies zur Ausbildung von Fehlsichtigkeit reichen. Mit der Verzerrung des die Augen umgebenden Gewebes kann möglicherweise auch erklärt werden, warum sich bei starker Kurzsichtigkeit die Netzhaut oftmals vom Augapfel löst. Vielleicht sorgen die Verspannungen auch dafür, dass die Augen nicht mehr richtig ernährt werden können und deshalb das Augenlängenwachstum in ein Ungleichgewicht gerät.

weiter mit Kapitel 10
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